Am Friedrichsdorfer Bahnhof entsteht Stück für Stück eine provisorische Personenüberführung. Sogar der Kampfmittelräumdienst war im Einsatz.
Friedrichsdorf – Normalerweise ist der Friedrichsdorfer Bahnhof am späten Abend ein verlassener Ort. Gelegentlich ein paar einsame Gestalten, die von der S-Bahn ausgespuckt werden. Wartende Taxis auf dem Vorplatz. Ansonsten aber überwiegend tote Hose, vor allem wenn irgendwann auch in der Bahnhofskneipe Pubstation Zapfenstreich ist. Die Beschaulichkeit eines Provinzstädtchens in der Rhein-Main-Region. Dieser Tage jedoch herrscht ein gänzlich anderes Bild. Die Verwandlung setzt dabei jeweils kurz vor Mitternacht ein.
Bauarbeiter wuseln auf dem Gelände von Bahnsteig zwei herum. Gabelstapler sausen über die Straße Am Viadukt heran und liefern Metallstangen und anderes Material an. Ein Generator knattert und treibt einen Behelfsscheinwerfer an, der die Szenerie ausleuchtet. Insekten kreisen im Licht der Lampen herum - fast schon eine nächtliche Sommer-idylle.
Es sind die Vorbereitungen für den Bau der provisorischen Überführung. Genauer gesagt für den letzten Abschnitt des Bauwerks, das während der Umbauphase des Bahnhofs Publikumsverkehr zwischen den Gleisen ermöglichen soll. Anstelle der jetzigen Unterführung, die während der Arbeiten gesperrt wird.
Wie die Überführung aussieht, wenn sie mal fertig ist, lässt sich bereits an der Aluminiumkonstruktion erkennen, die sich auf dem Mittelbahnsteig erhebt. Ein aufwendiger, fast filigran wirkender Treppenturm, ähnlich einem Baugerüst, mit zahlreichen Stufen, die in fast schwindelnde Höhen führen nebst einem mit Geländer versehenen Übergang Richtung Park-and-Ride-Platz, wo auch die Container der Baufirma stehen.
Es hat sich also eine Menge getan in den vergangenen Tagen. Das allerdings nach einem jahrzentelangem Vorlauf. Und auch nachdem das Projekt dann endlich auf den Weg gebracht war, verzögerte sich der Beginn der Arbeiten immer wieder, was das eh in der Hugenottenstadt bereits eingeschränkte Vertrauen in die Bahn, um es gelinde auszudrücken, weiter geschmälert hat.
In der Nacht vom 10. auf 11. Juli, also einem Sonntag auf Montag, habe man mit den Arbeiten angefangen, sagt Bauleiter Patrick Dietz, der das nächtliche Treiben koordiniert. Warum die Überführung nicht in einem Rutsch gebaut wird? "Wir können nur in den Bahnsperr-Pausen arbeiten", sagt er. Das heißt jeweils zwischen 0 Uhr und fünf Uhr morgens. Nun also dasselbe in Grün respektive in Silbermetallig auf der anderen Seite, sprich zwischen Bahnsteig an Gleis zwei und Mittelbahnsteig. Auch hier geht es nun Schlag auf Schlag.
Angelegt ist bereits ein Fundament, auf die nun noch eine untere Lage, Gerüst und Treppen kommen. Um das Konstrukt zu stabilisieren, wird es mit sogenannten Beton-Legosteinen ballastiert, wie es Patrick Dietz ausdrückt. Steine mit Noppen drauf, die wirklich an Legosteine erinnern, die im Unterschied zu den bunten Plastikklötzchen aber ein Gesamtgewicht von rund 200 Tonnen auf die Waage bringen.
Dann das große Finale. Letzter Schritt sind zwei Brückenteile, die per Mobilkran eingehoben werden. Die beiden Teile bestehen wiederum aus einem 7,20 Meter und einem 9,30 Meter langen Stück. Das längere der beiden reicht vom mittleren Turm bis zum Bahnsteig. Abspielen soll sich dieser Konstruktionsabschnitt voraussichtlich nächste Woche in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch. Zwei Nächte seien dafür zwar angepeilt. Man hoffe aber, dass alles in einer Nacht über die Bühne geht.
Eine knifflige Angelegenheit ist es auf jeden Fall. Zum einen muss die Brücke über die Oberleitungen zum Mittelbahnsteig geführt werden. Außerdem muss die Seite für den Bahnbetrieb komplett gesperrt werden. Und schließlich wäre noch eine weitere technische Herausforderung: "Das Einheben der Brücke ist der Knackpunkt", sagt Dietz. "Das muss genau passen. Wir haben kein Spiel bei Systembauteilen." Relativ starr seien diese.
Das ist aber immer noch nicht das Ende des Lieds. Es folgen Abnahme, Beleuchtung, und etwa Mitte August soll die provisorische Überführung dann in Betrieb gehen. Gespannt darf man darauf sein, wie die rund 7000 Fahrgäste, die täglich in Friedrichsdorf in die Züge von S- und Taunusbahn steigen, darauf reagieren.
Bekanntlich war ja bereits die alte Unterführung nebst Treppen zu den Bahnsteigen für Menschen mit schweren Koffern oder Zeitgenossen mit Mobilitätseinschränkungen eine nicht unerhebliche Hürde. Nun tritt an ihre Stelle die Personenüberführung, die es ganz schön in sich hat, wie sich bei einem Blick auf die Details zeigt. Wenn sie vollständig errichtet ist, hat sie eine Länge von circa 43,5 Metern. Die Treppenabgänge zu den Bahnsteigen respektive auf die Ostseite sind jeweils zwischen etwa 20 Meter und 26 Meter lang. Der Laufweg selbst befindet sich in rund acht Metern Höhe. Aber dafür gibt es nun die Perspektive eines künftigen, barrierefreien Bahnhofs.
Falls nicht noch etwas dazwischen kommt. Wie zum Beispiel Blindgänger aus dem Krieg. Beim nächtlichen Besuch diese Woche war eigens der Mitarbeiter eines Kampfmittelräumdienstes am Bahnhof unterwegs. Er stelle im Bereich des Tunnels Tiefenbohrungen an. Insgesamt 109 an der Zahl seien es. Die Arbeiter bestünden heutzutage darauf. Zu recht, meint er. Das habe nicht zuletzt die Explosion einer Fliegerbombe beim Münchener Hauptbahnhof im vorigen Jahr mit vier teilweise schwer verletzten Bauarbeitern gezeigt. Zum Abschied ein ironischer Scherz: „Wenn‘s knallt, war ich‘s.“ Es bleibt ruhig in der Nacht. (Klaus Späne)