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Er soll sie "die Ungefickte" genannt haben, wenn er mit anderen über sie sprach. Ihr selbst habe er einmal ins Gesicht gesagt, dass ihr Mann "einen kleinen Schwanz" habe. Habe sie in Texten statt eines schweizerischen Begriffs deutsche Ausdrücke wie "sahneweiß" oder "Kekse" verwendet, habe ihr Chef ein kleines Hakenkreuz an den Rand des Manuskripts gezeichnet. Und nachdem ein Sonderheft erschienen war, das sie verantwortet hatte, habe er ihr geschrieben: "Obwohl du eine Frau bist, hast du brilliert."
So schildert es die ehemalige Magazin-Redakteurin Anuschka Roshani, 56, in einem persönlichen Text in der aktuellen Ausgabe des Spiegels. Ihr Vorgesetzter war Finn Canonica, 56, der 16 Jahre lang Chefredakteur des Magazins war, der Wochenendbeilage der Zürcher Tageszeitung Tages-Anzeiger. Roshani schreibt, Canonica habe sie jahrelang mit verbalen Herabsetzungen entwürdigt und gemobbt.
Im Jahr 2021 hat sich Anuschka Roshani mit ihren Vorwürfen an ihre Arbeitgeberin gewandt, die Tamedia AG, die den Tages-Anzeiger verlegt. Sie war zuversichtlich, dass Tamedia den Konflikt lösen würde. Tatsächlich reagierte Tamedia auf Roshanis Vorwürfe und eröffnete eine interne Untersuchung. Aber je länger der Prozess dauerte, desto weniger fühlte sich Roshani geschützt und ernst genommen. Ende 2022 wurde sie entlassen. Sie fühlt sich inzwischen von Tamedia getäuscht.
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Nun hat sie Klage gegen die Tamedia AG eingereicht, wegen Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und ungültiger oder missbräuchlicher Kündigung.
Tamedia habe es unterlassen, Maßnahmen zum Schutz von Roshani zu ergreifen, die Vorfälle mit Canonica rasch abzuklären und Roshani in der Zwischenzeit vor weiteren Kontakten mit Canonica zu bewahren. Roshani verlangt von Tamedia eine angemessene Genugtuung für die erlittene Unbill.
Die Tamedia AG gehört zur börsennotierten TX Group AG und ist mit mehr als 20 Publikationen und 1.800 Mitarbeitenden eines der umsatzstärksten Unternehmen im Schweizer Journalismus. Das Magazin, auch Tagi-Magi genannt, gilt als eine der prestigeträchtigsten Redaktionen des Landes. Geleitet wurde sie von 2007 bis 2022 von Finn Canonica.
Seit der Gründung 1970 ist Das Magazin das Sprachrohr der urbanen und progressiven Schweiz . Heute würde man sagen, das Heft sei woke. Manche Artikel sind gendersensibel in der Doppelpunkt-Schreibweise verfasst, in Essays werden feministische Thesen vertreten und postkoloniale Theorien rezipiert. Es war auch Das Magazin, das vor drei Jahren Die Magglingen-Protokolle veröffentlichte. Acht Frauen erzählten darin von jahrelangen Einschüchterungen und Erniedrigungen, die sie im nationalen Leistungssportzentrum des Schweizerischen Turnverbands erfahren hätten. Worauf die eidgenössische Sportministerin Viola Amherd intervenierte und eine Untersuchung einleitete.
Ausgerechnet in dieser Redaktion soll der Chefredakteur eine Angestellte jahrelang sexuell belästigt und gemobbt haben.
DIE ZEIT hat sowohl Finn Canonica als auch die Verantwortlichen bei Tamedia mit einem ausführlichen Katalog von Fragen und den im Text genannten Vorwürfen konfrontiert. Der Anwalt von Canonica schreibt: "Die Vorwürfe treffen nicht zu und werden vehement bestritten." Tamedia habe die Vorwürfe zunächst mit einer internen, dann mit einer externen Untersuchung durch ein renommiertes Anwaltsbüro prüfen lassen. Eine Veröffentlichung der "widerlegten Vorwürfe" wäre eine "krasse Ehrverletzung" und würde "zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich ziehen".
Der Kommunikationschef von Tamedia erklärt in einer Stellungnahme: "Tamedia hat die Vorwürfe von Frau Roshani sehr ernst genommen und akribisch prüfen lassen. Der Konflikt zwischen Frau Roshani und Herrn Canonica war Gegenstand einer von Tamedia in Auftrag gegebenen externen Untersuchung durch eine spezialisierte Kanzlei. Die Untersuchung des Falles ergab, dass sich die von Frau Roshani in diesem Zusammenhang geäußerten Vorwürfe zu einem großen Teil nicht bestätigten." In einigen Punkten sei die Untersuchung zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen, "insbesondere was den Führungsstil und die Arbeitsatmosphäre unter der Leitung von Herrn Canonica betraf". Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes könne Tamedia keine weiteren Angaben zum Fall machen.
Offensichtlich sind die Mobbing-Opfer nicht nur das Opfer derer, die schikanieren, sondern auch noch all der folgenden Verfahren und Untersuchungen. Warum glaubt man Mobbingopfern nicht?
Der Betrieb möchte ja auch "sauber" bleiben nach dem Motto: "So etwas gibt es bei uns nicht". Oft aber mobben Personen, von denen man es nicht erwarten würde, z.B. der Chef oder die Chefin selbst. Genau diese Erfahrung musste meine Tochter auch machen.
Schade, dass man Mobbing lieber totschweigt als gerecht zu handeln.
Ich empfehle Mobbing zu dokumentieren und an zu zeigen. Damit weitere Opfer verschont werden. Bei Twitter kann man dies sehr schön unter Hashtags gruppieren. So können sich Opfer für eine Sammelklage zusammen tun. Die Medienmenschen werden sich zweimal überlegen, ob sie wieder Übergriffe verüben und zur Verantwortung gezogen. An der Hochschule Rhain Main / FH Wiesbaden hätte ich mir solche Hashtags damals schon gewünscht. Die Professoren hätten sich so leichter in die Grenzen verweisen lasseb.
In der Schweiz wird es meiner Meinung nach tatsächlich oft so gehandhabt: Bei Vorwürfen in dieser Art wird in der Regel intern oder extern ermittelt, schlussendlich werden aber beide Parteien entlassen. Begründung, die ich (inoffiziell) dafür mal erhalten habe: Meistens sind ohnehin zwei Seiten beteilt, wer Recht hat lässt sich nicht zu 100% feststellen und wer einmal Ärger gemacht hat, wird wieder Ärger machen. Ich bin kein Fan dieses Vorgehens, aber es ist leider schon etwas dran: Bei allen mir bekannten Mobbing-Fällen hatten am neuen Arbeitsplatz sowohl "Opfer" als auch "Täter" wieder ähnliche Probleme.
Ich finde die Formulierung etwas unglücklich, wenn Sie von Ärger machen schreiben. Opfer von Sexismus, Rassismus oder Mobbing machen keinen Ärger, sondern treten für menschenwürdige Arbeitsbedingungen ein. Wenn Organisationen das als "Ärger machen" empfinden, haben sie nicht verstanden, welchen Schaden die Täter in der Organisation anrichten.
„Seit der Gründung 1970 ist Das Magazin das Sprachrohr der urbanen und progressiven Schweiz. Heute würde man sagen, das Heft sei woke. Manche Artikel sind gendersensibel in der Doppelpunkt-Schreibweise verfasst, in Essays werden feministische Thesen vertreten und postkoloniale Theorien rezipiert.“
Man kann nur hoffen, daß diese zeitgemäßen Gepflogenheiten trotz des zu Recht beanstandeten Fehlverhaltens des männlichen Chefredakteurs beibehalten werden.
Nö, man kann nur hoffen dass das Magazin und der ganze Verlag die Digitalisierung nicht überlebt. Kein Mensch braucht solche verkrustete Entscheidungsträger die nicht auf der Seite der Schwachen und entrechteten sind. Für viele verlage stellt das Internet eine große Herausforderung dar, hoffen wir dass dieser es nicht überlebt.
Scheint mir alles sehr schlüssig. Männer merken nicht und minimieren, wenn sie Frauen inadäquat behandeln. Klassischer Fall von "hab dich doch nicht so" - auch viele Minderheiten können von dieser Art des Abtuns ihrer Bedenken erzählen. Wenn man fragt, waren fast 80% der Deutschen Eltern keine Täter, ist niemand Frauenfeind, Ausländerhasser, Antisemit oder Homophob. Da sind immer die jeweiligen Minderheiten schuld, oder: empfindlich.
Sie glauben, dass der Typ, der Hakenkreuze an den Rand malt, nicht merkt was er tut? Von Äußerungen wie "Ungefickt" ganz abgesehen... Sie haben keine Ahnung von Mobbing. Natürlich merkt der Täter das, er macht das ganz gezielt. Und nein, das können auch Frauen gegen Frauen, Männer gegen Männer und Frauen gegen Männer machen. Und ich würde mal grob sagen, dass das 80% der Menschen wirklich nicht tun, eher noch mehr. 10-20% der Menschen die aus irgend welchen Gründen so scheiße sind, reichen völlig aus, um jede Menge Ärger zu machen, wenn es genügend Leute zulassen.
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